Der Begriff des „Urknalls“ ist heutzutage fast jedem Menschen geläufig. Doch was genau verbirgt sich hinter diesem Begriff?
Zu Beginn des 20. Jahrhunderts machten Astrophysiker einige bahnbrechende Entdeckungen, die unser Bild vom Universum und vor allem von seiner Vergangenheit einschneidend veränderten und für immer prägten. Diese Entdeckungen deuteten darauf hin, dass das Universum keineswegs statisch und ewig beständig ist, sondern tatsächlich expandiert. Die daraus gezogene Konsequenz war erstaunlich, gleichzeitig aber auch mehr als verwirrend: Unser Universum hatte einen Anfang. Einen Anfang, der mit einem Ereignis unvorstellbarer Urgewalt begann – dem Urknall.
Doch noch immer ist die Natur des Urknalls und der Frühphase unseres Universums kaum verstanden. Bis heute stellt sie Forschende vor gewaltige Herausforderungen – und wirft Fragen auf, die selbst modernste Theorien ins Wanken bringen.
Was zu dieser Erkenntnis führte, war nicht etwa Spekulation – sondern ein einfacher Blick in die Sterne, den ein gewisser Edwin Hubble wagte …
Edwin Hubble – Die Revolution unseres Weltbilds
Bis zum Beginn des 20. Jahrhunderts hatten die Astronomen viele „Nebel“ und nebelartige Flecken im Universum ausgemacht. Ihre Natur war allerdings fast gänzlich unbekannt, ebenso wie ihr ungefährer Abstand und ihre Ausmaße. Man hielt sie sogar für Bestandteile unserer Milchstraße – eine Gewissheit war dies allerdings nicht.
Der Astrophysiker Edwin Hubble (1889 – 1953, Abb. 1), ein US-amerikanischer Astronom und einer der bedeutendsten Astronomen der jüngeren Geschichte, untersuchte am Mount-Wilson-Observatorium Spiralnebel und konnte erstmal die Radialgeschwindigkeit eines dieser Nebel messen.
Quelle: https://de.wikipedia.org/wiki/Edwin_Hubble#/media/Datei:Studio_portrait_photograph_of_Edwin_Powell_Hubble_(cropped).JPG
Doch 1923 gelang ihm im Zuge seiner Untersuchungen eine verblüffende Entdeckung: Er konnte nachweisen, dass die Andromedagalaxie – damals noch bekannt als „Andromedanebel“ – weit außerhalb unserer Galaxie lag (Abb. 2).

Quelle: https://de.wikipedia.org/wiki/Andromedagalaxie#/media/Datei:Andromeda_Galaxy_(with_h-alpha)_rotated.jpg
Um zu verstehen, wie er vorging, müssen wir eine andere revolutionäre Entdeckung betrachten, die auf Henrietta Swan Leavitt (1868 – 1921) zurückgeht. Sie war eine US-amerikanische Astronomin, der 1912 die Entdeckung der berühmten Perioden-Leuchtkraft-Beziehung für eine bestimmte Klasse von Sternen gelang. Sie untersuchte veränderliche Sterne in der großen und der kleinen Magellanschen Wolke – zwei kleine Begleitergalaxien unserer Milchstraße – und stellte fest, dass es bestimmte sehr leuchtkräftige Sterne gibt, die später den Namen δ-Cepheiden bekamen, deren absolute Leuchtkraft bzw. deren Leuchtkurvenverlauf lediglich von ihrer Pulsationsperiode abhängt. Die große Bedeutung dieser Sternengattung liegt darin, dass sie sich sehr gut für Abstandsbestimmung eignen – sobald man etwa einen nahegelegenen δ-Cepheiden entdeckt und seinen Abstand etwa mit Hilfe der Parallaxenmethode bestimmt hat, können die Abstände zu allen anderen δ-Cepheiden mit Hilfe des Abstandsgesetzes bestimmt werden. Die Leuchtkraft eines Sterns fällt nämlich quadratisch mit dem Abstand, weswegen man also nur die relativen Helligkeiten zweier δ-Cepheiden vergleichen muss, um auf ihr Abstandsverhältnis zu kommen. Deswegen spricht man bei der Klasse der δ-Cepheiden auch von Standardkerzen – sie haben nämlich eine standardisierte Leuchtkraft. Diese Eichung der δ-Cepheiden gelang auch tatsächlich nach einer gewissen Zeit und der Weg für die Abstandsmessung in unserer galaktischen Nachbarschaft war geebnet.
Strategisch ging Hubble bei der Abstandsmessung zur Andromedagalaxie wie folgt vor. Zunächst konzentrierte er sich auf das Auffinden von δ-Cepheiden im Andromedanebel. Nach einiger Zeit und einer genauen Suche fand er tatsächlich einen δ-Cepheiden im Andromedanebel (Abb. 3, Kennzeichnung: „VAR“ = variable). Anhand seiner Leuchtkraft konnte er seine Entfernung (ungefähr) bestimmen: Sie betrug etwa 900.000 Lichtjahre. Da aber die weitesten Sterne der Milchstraße eine Entfernung von etwa 100.000 Lichtjahre haben, schloss er daraus, dass der Andromedanebel nicht Teil der Milchstraße ist, sondern eine eigenständige Galaxie.
Dieselbe Methode verwendete Hubble anschließend, um für weitere Nebel nachzuweisen, dass es eigenständige Galaxien sind.
Abbildungen von Hubbles Original-Glasplatten können beispielsweise unter dem folgenden Link eingesehen werden:
https://carnegiescience.edu/about/history/archives/plate-archives/m31var
Tatsächlich hatte Hubble den Abstand zur Andromedagalaxie (und wohl auch zu anderen Galaxien) noch nicht ganz korrekt bestimmt, da ihm zur damaligen Zeit noch nicht bekannt war, dass es zwei Arten von kosmischen Standardkerzen gibt – Cepheiden vom Typ I und Typ II – und er sie in seinen Untersuchungen folglich auch nicht unterschied. Die korrekte Unterscheidung dieser beiden Cepheiden-Typen erfolgte erst Jahrzehnte später. Heutzutage wird der Abstand zur Andromedagalaxie zu etwa 2.500.000 Lichtjahren beziffert, die Abstände zu vielen anderen Galaxien, die Hubble damals untersuchte, müssen entsprechend skaliert werden.
Im Laufe der 1920er-Jahre haben Edwin Hubble und George Lamaître systematisch weitere Galaxien untersucht und konnten sogar einen linearen Zusammenhang zwischen den Entfernungen und den (durchschnittlichen) Fluchtgeschwindigkeiten der Galaxien feststellen (Abb. 3, in der auch Hubbles Originalarbeit verlinkt ist).

https://www.pnas.org/doi/10.1073/pnas.15.3.168
Quelle: https://www.pnas.org/cms/10.1073/pnas.15.3.168/asset/3c4ab7f0-0cf6-43b7-afdf-2b7066aa0260/assets/graphic/pnas.168fig01.jpeg
Das Schlüsselargument für die Untersuchung der Fluchtgeschwindigkeiten von Galaxien war ihre Rotverschiebung. Die Rotverschiebung ist ein Maß für die wahrgenommene Verschiebung der Wellenlängen ins rote Spektrum (Abb. 4).

Quelle: https://de.wiktionary.org/wiki/Rotverschiebung#/media/Datei:Redshift_blueshift.svg
Entfernt sich nämlich eine Lichtquelle von uns, so erscheinen uns die gemessenen Wellenlängen länger als die, die wir in einem ruhenden Labor wahrnehmen würden. Umgekehrt erscheinen sie uns kürzer, wenn sich die Lichtquelle auf uns zubewegt. Die Relativitätstheorie gibt uns schließlich einen mathematischen Schlüssel, um aus dieser Rotverschiebung die zu uns relative radiale Geschwindigkeit der Lichtquelle – also die Geschwindigkeitskomponente, mit der sich die Quelle auf uns zubewegt – zu ermitteln.
Räumlich interpretiert würden wir etwa das folgende Bild erhalten, wenn wir die Galaxien mit ihren Fluchtgeschwindigkeiten paaren (Abb. 6):

Dieser Zusammenhang, der mathematisch sogar recht einfach formuliert werden kann, zog eine äußerst erstaunliche Konsequenz nach sich, mit der zunächst auch nicht alle Physiker – allen voran der berühmte Astrophysiker Fred Hoyle – einverstanden waren. Lassen Sie uns diese Konsequenz Schritt für Schritt ableiten.
Stellen wir uns vor, wir leben auf der Oberfläche eines gigantischen Luftballons (Abb. 7), auf dessen Oberfläche wir die uns bekannten Galaxien anordnen.

Quelle: KI-generiertes Bild (erstellt mit Unterstützung von ChatGPT).
Was passiert nun, wenn wir diesen Ballon nun aufblasen? Die Galaxien werden sich zunächst einmal alle von uns zu entfernen scheinen – jede von ihnen mit einer eigenen Geschwindigkeit. Aber diese Fluchtgeschwindigkeit sind andererseits auch nicht beliebig, sondern unterliegen einer festen Gesetzmäßigkeit. Je weiter eine Galaxie von uns entfernt ist, desto schneller entfernt sie sich von uns – doppelt so weit entfernte Galaxien fliehen doppelt so schnell von uns, fünfmal weiter entfernte Galaxien mit der fünffachen Fluchtgeschwindigkeit usw. Mit anderen Worten ist die Fluchtgeschwindigkeit einer jeden Galaxie genau proportional zu ihrem Abstand zu uns.
Und tatsächlich hat diese Feststellung nichts mit unserer konkreten Position auf dem Luftballon zu tun, sondern gilt für jeden beliebigen anderen Punkt, den wir uns als Beobachtungspunkt wählen.
Ein analoges Phänomen tritt auf, wenn wir unsere Galaxien nicht etwa auf einem aufblasbaren Luftballon anordnen, sondern auf einem dehnbaren Gummituch und dieses dann gleichmäßig an allen Randpunkten auseinanderziehen.
Diese Assoziation unseres Universums führte die Astrophysiker später dann zu der folgenden Schlussfolgerung, die die Astrophysik entscheidend prägte: Unser Universum expandiert.
Tatsächlich hat Hubble, obwohl er sein Gesetz korrekt formulierte, diese Interpretation nicht aufgeschrieben oder ausgesprochen – sie erfolgte später durch Lamaître und andere Astrophysiker.
Bei dieser Universum-Luftballon-Assoziation sollte man allerdings auf einen feinen, aber doch wesentlichen Unterschied hinweisen: Während bei dem Luftballon- oder dem Gummituch-Modell die Fluchtgeschwindigkeiten stets genau proportional zum Abstand einer Galaxie sind, ist dieses Ergebnis für unser Universum nur für die durchschnittlichen Fluchtgeschwindigkeiten gültig. Der Grund liegt einfach darin, dass die Galaxien aufgrund ihrer Gravitationskraft auch allesamt untereinander interagieren und sich lokal gegenseitig von ihren Idealbahnen ein wenig ablenken und sich somit lokale Bewegungsfluktuationen bilden.
Wenn man nun aber diese Galaxienflucht in die Vergangenheit zurückverfolgt, dann gelangt man zu einem sehr wichtigen Schluss – einem Schluss mit äußerst bizarren Konsequenzen: Unser Universum entstammt aus einem sehr winzigen, fast punktförmigen Raumbereich. Und genau diese Entstehung bezeichnet man als den Urknall – den Beginn all unseres Seins.
Tatsächlich ist die Errechnung des genauen Zeitpunktes, an dem der Urknall passierte, nicht sehr einfach. Hierfür müssen die Fluchtgeschwindigkeiten genau bekannt sein, ebenso wie unsere kosmische Vergangenheit, in die wir durch moderne hochauflösende Teleskope wie etwa das Hubble Space Telescope oder das James Webb Space Telescope blicken. Mittlerweile ergeben alle Beobachtungen, Untersuchungen sowie Surveys und die darauf beruhenden theoretische Berechnungen einen Wert von ca. 13,8 Milliarden Jahre für das Alter des Universums, also für die Zeitspanne zwischen dem Urknall und dem heutigen Tag.
Erwähnenswert wäre an dieser Stelle auch die Tatsache, dass aus Hubbles Originalarbeit, welche mit falschen Werten für die Fluchtgeschwindigkeiten der Galaxien arbeitet, hervorgehen würde, dass das Universum lediglich etwa zwei Milliarden Jahre alt ist. Als diese Konsequenz gezogen wurde, war aber bereits bekannt, dass die Erde etwa 4,5 Milliarden Jahre alt sein muss, da dies zweifelsfrei aus geologischen Untersuchungen hervorging. Dieser Widerspruch löste ernsthafte Diskussionen in der wissenschaftlichen Welt aus, und schließlich fiel der Fehler auf der Seite der Kosmologie auf.
Die Expansion – Aber was genau expandiert?
Diese Frage klingt – vor allem nach den obigen Betrachtungen und Erläuterungen – recht einfach. Doch bekanntlich steckt der Teufel im Detail – diese Frage hat es nämlich tatsächlich in sich.
Man mag sich den Urknall – wie der Name bereits andeutet – vorstellen wie eine gigantische Explosion, die Materie erzeugt und mit einer gewaltigen Wucht in die Weiten des Universums geschleudert hat, die später abkühlte und zu Sternen und ganzen Galaxien kondensierte (Abb. 8). Doch ganz so einfach verhält es sich nicht.

Quelle: KI-generiertes Bild (erstellt mit Unterstützung von ChatGPT).
Es würde an dieser Stelle viel zu weit führen, die bisher bekannte – oder besser gesagt: von der astronomischen Welt favorisierte Annahme über die – Natur des Urknalls in allen Einzelheiten auszuführen. Zumal für ihre Begründung komplizierte Berechnungen nötig sind, die auf der Allgemeinen Relativitätstheorie sowie der Quantenmechanik beruhen.
Allerdings zeigen moderne Modelle, dass der Urknall vielmehr der Beginn von Raum und Zeit – oder, um in der Sprache der Relativitätstheorie zu bleiben: der Raumzeit – war und dass es in der Tat sinnlos ist, nach einem „Vorher“ zu fragen. Der Urknall erschuf die Raumzeit und initiierte die Expansion der Raumzeit selbst. Die Frage nach dem „Vorher“ wäre also in etwa so sinnvoll wie die Frage, was nördlicher sei als der Nordpol? Was also expandiert, ist nach heutiger Auffassung der Raum selbst, und die Vorstellung eines Auseinanderschleuderns von Galaxien, wie es etwa bei Splittern einer explodierten Handgranate der Fall ist, scheint grundsätzlich falsch zu sein.
All diese Phänomene, und vor allem die frühe Phase des Universums bilden selbst heute noch Stoff für hitzige Diskussionen unter den Astrophysikern und sind weit davon entfernt, vollständig verstanden oder gar gelöst worden zu sein. Auch zeigen neuere Daten des James Webb Space Telescopes, der in der Lage ist, sehr weit in unsere kosmische Vergangenheit zu blicken, dass unser Verständnis vom Universum und insbesondere vom Urknall womöglich nicht ganz korrekt ist und mindestens einiger Anpassungen bedarf. Schon die Daten des Hubble Space Telescopes und anderer Weltraumteleskope und Surveys zeigten erste Inkonsistenzen zwischen Theorie und Beobachtung, James Webb vertieft diese Kluft derzeit sogar. Aber das alles ist Stoff für viele tiefgehende astrophysikalische Publikationen und Bücher, und auch wir werden unser Augenmerk auf einige der erwähnten Ungereimtheiten später noch richten …
Die Erkenntnis, dass unser Universum – nach einem strengen Gesetz – expandiert und damit alles andere als statisch ist und einen zeitlichen Anfang besitzt, war vermutlich die wichtigste Erkenntnis des 20. Jahrhunderts, wenn nicht der gesamten bisherigen Geschichte der Astronomie. Aber auch wenn wir unser Universum mittlerweile deutlich besser verstehen und seine Parameter immer genauer ermitteln, so bleiben immer noch viele grundlegende Fragen ungelöst, und die Astrophysik sieht sich sogar mit überraschenden neuen Fragen konfrontiert.
Sind unsere Modelle und Berechnungen genau genug, um bestimmte Schlüsse zu ziehen? Was genau löste den Urknall aus? Und wie sieht die Zukunft unseres Universums aus? Wird es ewig weiter expandieren, oder irgendwann gar den umgekehrten Prozess durchlaufen und wieder kontrahieren und schließlich in einem zweiten kosmischen Knall zusammenfallen? Oder tappen wir selbst heute mit unserem – vermeintlichen – Detailwissen immer noch gänzlich im Dunkeln?