Die Milchstraße – unsere Welteninsel in der Unendlichkeit

Wenn wir in klaren Nächten gen Himmel schauen, sehen wir ein Meer von Sternen. Sie übersäen den gesamten Himmel und scheinen völlig chaotisch verteilt zu sein. Seit der Antike haben die Menschen aber in ihren Ansammlungen versucht, Muster auszumachen und diesen Mustern – Sternbilder genannt – sogar mystische Bedeutungen zugeschrieben, die Einfluss auf das Schicksal eines jeden Menschen haben.

In Sommernächten erstreckt sich am Himmel ein riesiges milchiges Band über uns, das man bereits in der griechischen Mythologie „Milchstraße“ nannte. Der Sage nach hat die Göttin Hera ihre Milch verschüttet, als sie Herakles zur Stillung abstoßen wollte. Doch was genau ist dieses Milchstraßenband, das in klaren Nächten nahezu magisch leuchtet und sich deutlich vom übrigen Sternenhimmel abhebt? Ist das nur ein schimmernder Nebel, oder doch eine gewaltige kosmische Struktur, von der wir nur ein winziger Bestandteil sind? Und was weiß die moderne Astronomie über unsere Welteninsel, die wir nur von innen, aber nicht von außen betrachten können? Und können wir die Gestalt unserer riesigen Welteninsel womöglich sogar rekonstruieren?

In der Antike

In frühen Zeiten, als der Himmel noch deutlich weniger lichtverschmutzt war als heute, war der Anblick des Milchstraßenbandes bestimmt grandios – etwa so, wie man es heute beispielsweise nur noch in Namibia oder anderen wenigen Gegenden beobachten kann.

Die Idee, dass die Milchstraße sich in Wirklichkeit aus unzähligen einzelnen Sternen zusammensetzt, wurde bereits von Demokrit (460/459 v. Chr. – ca. 370 v. Chr.), einem frühgriechischen Philosophen, geäußert. Tatsächlich verifizieren konnte das aber erst Galileo Galilei in der Neuzeit im Jahr 1609, der die Milchstraße als erster durch ein Fernrohr betrachtete.

In der Spätantike wurde die Milchstraße von den Manichäern – den Anhängern einer Offenbarungsreligion der Spätantike und des frühen Mittelalters – als „Säule der Herrlichkeit“ bezeichnet. Durch sie konnte das in der Welt gefangene Licht wieder in die Lichtheimat, aus der es einst kam, zurückkehren. In Persien war sie in dieser Zeit als vom Horizont ausgehende nach oben gerichtete Lichtsäule zu sehen.

Obwohl ein großer Teil unserer modernen Welt aufgrund großflächiger Infrastruktur auch nachts permanent beleuchtet wird, so gibt es doch die eine oder andere abgelegene ländliche Gegend, in der wir nachts das Milchstraßenband in seiner vollen Pracht bestaunen dürfen (Abb. 1).

Abb. 1: Das Milchstraßenband, aufgenommen im Sommer 2024 in Wehrheim / Pfaffenwiesbach.

Erkenntnisse in der Renaissance und der Neuzeit

Wilhelm Herschel (1738 – 1822) war der Erste, der zur Vorstellung einer Scheibenform des Milchstraßensystems gelangte (siehe Abb. 2 zur damaligen Vorstellung von Herschel). Herschel zählte nämlich systematisch die Sterne in verschiedenen Himmelsregionen und stellte dabei fest, dass die Dichte der Sterne in einigen Bereichen höher war als in anderen.

Abb. 2: Die Gestalt der Milchstraße, wie sie Wilhelm Herschel 1785 aus Sternzählungen herleitete.
Quelle: Wikipedia

Obwohl seine Methode für die damalige Zeit bereits bahnbrechend war, konnte das Ergebnis dennoch nicht zu einem realistischen Bild führen. Das Licht weiter entfernter Sterne wird nämlich stark durch interstellare Staubwolken abgeschwächt – ein Effekt, dessen wahre Bedeutung erst in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts vollständig erfasst wurde.

Einen weiteren revolutionären Schritt zur Abschätzung der Größe des Milchstraßensystems tat Harlow Shapley 1919, indem er die Verteilung der Kugelsternhaufen im Raum untersuchte. Er bestimmte die Entfernungen zu vielen Kugelsternhaufen und erkannte, dass sich diese weit außerhalb der Milchstraße befinden und überdies, dass das Zentrum der Milchstraße sich in Richtung des Sternbildes Schütze befindet. Außerdem gelangte er dabei zu der Erkenntnis, dass die Sonne nicht im Zentrum unserer Galaxie sitzt, sondern eher am Rand.

Offen war aber die wichtige Frage, ob unsere Milchstraße die einzige Galaxie im Universum sei. Schließlich kannte man zu dieser Zeit bereits viele spiralartige Nebel, deren Natur, Entfernung und Ausmaße nicht vollständig entschlüsselt werden konnten, obwohl viele Astronomen damals bereits vermuteten, dass es sich bei den Spiralnebeln um ferne Galaxien handelt.

Und dann kam Hubble

Edwin Hubble, einer der berühmtesten Astronomen des 20. Jahrhunderts, fasste die besagten Spiralnebel genauer ins Auge, vor allem die Andromedagalaxie M31 (Abb. 3), die sich in einer klaren und sehr dunklen Nacht sogar mit bloßem Auge als milchiger Fleck beobachten lässt (Abb. 4).

Abb. 3: Die Andromedagalaxie M31.
Quelle: Wikipedia
Abb. 4: Weitwinkelaufnahme des Winterhimmels, aufgenommen im Januar 2025 bei Wehrheim/Pfaffenwiesbach. Rechts unten ist die Andromedagalaxie M 31 zu sehen. Ebenfalls im Bild sind die offenen Sternhaufen h & χ Persei (Doppelhaufen), M 34 bis M 38, M 45 (Plejaden), der California-Nebel NGC 1499, die Dreiecksgalaxie M 33 sowie der helle Punkt des Gasplaneten Jupiter.

Mit Hilfe einer recht ungewöhnlichen Methode – der Verwendung eines bestimmten Sterntyps mit einer standardisierten Leuchtkraft – konnte er 1923 nachweisen, dass die Andromedagalaxie, die damals noch unter dem Namen „Andromedanebel“ bekannt war, wesentlich weiter von uns entfernt ist als die weitesten Sterne in unserer Milchstraße. Mit dieser bahnbrechenden Entdeckung war schlagartig klar, dass unsere riesige Welteninsel, die Milchstraße, in der Tat nicht einzigartig im Universum ist, sondern nur eine von vielen solcher Nebel. Auch zeigten seine Untersuchungen später, dass alle solche Spiralnebel weit außerhalb unserer Milchstraße liegen, und George Lamaître und er stellten später sogar einen Zusammenhang zwischen der Entfernung einer Galaxie und ihrer Fluchtgeschwindigkeit fest.

Unsere Welt ist ein riesiger Strudel

Während die Astronomen in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts andere Galaxien, ihre Form und ihre Dynamik bereits hinreichend gut untersuchen konnten, bereitete die genaue Form und Beschaffenheit unserer eigenen Milchstraße den Forschern großes Kopfzerbrechen – schließlich können wir aufgrund ihrer enormen Ausmaße sie nur von innen heraus untersuchen, sie aber nicht von außen sehen.

Dass unsere eigene Galaxie ebenfalls eine Spiralstruktur besitzt und damit der von Hubble eingehend untersuchten Andromedagalaxie nicht unähnlich sieht, hatte sich nicht über Nacht herausgestellt. Es war vielmehr eine Erkenntnis, die sich, beruhend auf einer ganzen Reihe von Arbeiten, mit der Zeit herauskristallisiert hat. Eines der Schlüsselmomente war das Jahr 1951, in dem ein Team um William Morgan erstmals nachgewiesen hatte, dass die Milchstraße Spiralarme besitzt.

Die Spiralarme einer Galaxie entstehen aus dem Zusammenwirken von Gravitation und Sternentstehung und enthalten deshalb große Mengen interstellaren Gases – überwiegend Wasserstoff. Beispielsweise lässt sich der gasförmige Wasserstoff durch seine 21-cm-Radiostrahlung – die sogenannte HI-Linie – seit etwa 1950 nachweisen und gestattet uns, die Struktur unserer Milchstraße auch hinter dem von Dunkelwolken verdeckten Milchstraßenzentrum zu erforschen.

Die Spiralarme der Milchstraße

Unsere Milchstraße ist eine Balkenspiralgalaxie. Lange Zeit kannte man nur zwei Arme unserer Milchstraße. Neuere Untersuchungen zeigen allerdings, dass unsere Milchstraße sogar (mindestens) sechs Arme besitzt: den Norma-Arm, den Scutum-Crux-Arm, den Sagittarius-Arm, den Perseus-Arm, den Cygnus-Arm und den Orion-Arm, in dem sich auch unser Sonnensystem befindet (Abb. 5).

Abb. 5: Schematische Darstellung unserer Milchstraße.
Quelle: Wikipedia

Unsere Milchstraße misst etwa 105.700 Lichtjahre im Durchmesser, und unser Sonnensystem liegt im Orion-Arm, der auch lokaler Arm genannt wird, einem kleineren Seitenarm zwischen dem Sagittarius-Arm und dem Perseus-Arm. Er ist etwa 20.000 Lichtjahre lang, 2.000 Lichtjahre breit und etwa 26.000 Lichtjahre vom galaktischen Zentrum entfernt. Zudem zeichnet er sich durch eine Reihe heißer Sterne der Spektralklassen O und B aus, die überwiegend zum Sternbild Orion gehören, weswegen er auch seinen Namen „Orion-Arm“ erhielt.

Möglicherweise existieren noch weitere Arme in unserer Milchstraße, die weniger ausgeprägt oder von uns aus schwerer zu beobachten sind. Die Verwendung moderner Teleskope wie etwa Spitzer, die im Infrarotbereich untersuchen, ermöglichte es schließlich, einige der Arme besser zu kartieren, als es mit optischem Licht möglich war.

Im 20. und 21. Jahrhundert ergaben darüber hinaus eine Reihe von Untersuchungen – sowohl mit erdgebundenen als auch mit Weltraumteleskopen – Schätzungen für die Anzahl der Sterne sowie für die Gesamtmasse unserer Milchstraße. Demnach enthält die Milchstraße schätzungsweise 100 bis 400 Milliarden Sterne, wobei die große Unsicherheit in der Schätzung darin liegt, dass ein großer Teil der Milchstraße vom Staub verdeckt wird, durch den man kaum oder teilweise gar nicht hindurchblicken kann. Die Gesamtmasse der Milchstraße wurde früher auf etwa 400 Milliardenbis 700 Milliarden Sonnenmassen geschätzt, neuere Erkenntnisse liefern aber sogar einen Wert von etwa 1.500 Milliarden Sonnenmassen. Damit ist die Milchstraße vor der Andromedagalaxie, deren Masse etwa 800 Milliarden Sonnenmassen beträgt und die die größte Galaxie in unserem lokalen Galaxienhaufen, der Lokalen Gruppe, darstellt, die massereichste Galaxie in diesem Haufen.

Unsere Erde ist nicht flach – und die Milchstraße auch nicht

Lange Zeit war es akzeptierte Tatsache, dass unsere Milchstraße eine Balkenspiralgalaxie mit einer flachen Scheibe ist. Tatsächlich enthüllen aber neuere Daten des Gaia-Weltraumteleskops aus dem Jahr 2019, dass dies ein Irrtum ist. Eine ganze Reihe von sogenannten Cepheiden (veränderlichen Sternen) befinden sich nicht dort, wo sie sich befinden müssten. Ihre Positionen deuten vielmehr darauf hin, dass unsere Milchstraßenscheibe verbeult ist – einige Teile der Hauptebene sind nach oben gebogen, andere wiederum nach unten (Abb. 6).

Abb. 6: Künstlerische Darstellung der leicht gewölbten Milchstraßenscheibe.
Quelle: KI-generiertes Bild (erstellt mit Unterstützung von ChatGPT).

Die Ursache für diese Wölbung wird nach derzeitigen Erkenntnissen auf frühere Wechselwirkungen mit Zwerggalaxien und den Schwerkrafteinfluss einer dunklen Materie zurückgeführt.

Auf Kollisionskurs

Bereits Hubble entdeckte mit Hilfe spektralanalytischer Untersuchungen der Andromedagalaxie, dass sie und unsere Milchstraße sich auf Kollisionskurs befinden. Er stellte nämlich fest, dass die Spektren ihrer Sterne leicht ins Blaue verschoben sind, was gemäß dem Doppler-Effekt für elektromagnetische Wellen bedeutet, dass die untersuchte Lichtquelle sich auf uns zubewegt. Spätere und genauere Untersuchungen untermauerten diesen Befund. Simulationen und Berechnungen ergeben, dass die beiden Galaxien in etwa drei bis sechs Milliarden Jahren kollidieren und langsam miteinander verschmelzen werden – die entstandene (vermutlich elliptische) Galaxie erhielt jetzt schon den Namen „Milkomeda“.

Neuere Erkenntnisse und Simulationen ergeben jedoch, dass die Milchstraße und die Andromedagalaxie einer Kollision womöglich mit etwa einer 50%-Chance aus dem Weg gehen könnten, wenn man die Gravitation der Dreiecksgalaxie M33, dem dritten großen Mitglied unserer Lokalen Gruppe, sowie der Großen Magellanschen Wolke mitberücksichtigt. Das genaue Schicksal unserer Galaxie ist somit wieder ungewiss.

Das Monster in der Mitte

Bereits in den 1930er-Jahren tauchten erste Hinweise auf ein merkwürdiges Objekt im Zentrum der Milchstraße auf. Bei der systematischen Untersuchung einer Störung einer Transatlantik-Funkverbindung fand der US-amerikanische Physiker Karl Jansky im Jahr 1932 im Sternbild Schütze (lat. Sagittarius) eine starke Radioquelle. Die Position dieser Radioquelle, die heute als Sagittarius A* bekannt ist, ist in Abb. 7 zu sehen.

Abb. 7: Der ungefähre Ort der Radioquelle Sagittarius A*.
Quelle: Wikipedia

John D. Kraus, Hsien-Ching Ko und Sean Matt verwendeten erstmals 1954 den Namen Sagittarius A, als sie das Objekt in die Liste der Radioquellen aufnahmen. Damals war es üblich, Quellen nach Sternbildern zu benennen und sie mit Großbuchstaben in der Reihenfolge ihrer Helligkeit innerhalb jedes Sternbilds zu versehen, wobei „A“ die hellste Radioquelle bezeichnete. Sagittarius A war somit die stärkste Radioquelle im Sternbild des Schützen. Der Stern * im Namen wurde von Brown hinzugefügt, in Analogie zur Notation angeregter Zustände in der Atomphysik. Er vermutete damals, dass die Radioquelle ihre Umgebung zur Aussendung von Strahlung anregt. Obwohl sich Browns Vermutung schlussendlich als falsch herausstellte, wurde diese Notation in der Fachwelt beibehalten.

Die Entdeckung eines Supermassiven Schwarzen Lochs in der Region, in der Sagittarius A* gefunden wurde, gelang schließlich – unabhängig voneinander – den Teams um Andrea Ghez am Keck-Observatorium und Reinhard Genzel am La-Silla-Observatorium und dem Very Large Telescope in den 1990er-Jahren. Entscheidend für diesen Nachweis waren die Beobachtungen von Sternen in unmittelbarer Umgebung von Sagittarius A*, insbesondere des Sterns S2, der sich dem Schwarzen Loch sogar auf eine Entfernung von etwa 17 Lichtstunden näherte (Abb. 8).

Abb. 8: Aufnahme der Bewegungen von Sternen in der unmittelbaren Umgebung des zentralen Schwarzen Lochs unserer Milchstraße, Sagittarius A*.
Quelle: Wikipedia

Die Beobachtung des in den Fokus gerückten Sterns S2 bei seiner Bewegung um Sagittarius A* wurde durch ein adaptives Optiksystem (NAOS) ermöglicht, das störende Einflüsse der Atmosphäre nahezu beseitigen kann. Mit Hilfe dieser Beobachtungsmethode konnte man ausschließen, dass es sich bei Sagittarius A* um etwas anderes handelt als ein Supermassives Schwarzes Loch (wie etwa um einen Haufen von Neutronensternen).

Für diesen sensationellen Fund erhielten beide 2020 den Nobelpreis für Physik.

Die Masse von Sagittarius A* wird heute auf etwa 4,15 bis 4,3 Millionen Sonnenmassen geschätzt (je nach Quelle). Vor einigen Jahren ermöglichte schließlich das EHT (Event Horizon Telescope) sogar eine direkte Aufnahme von dem Schwarzen Loch Sagittarius A* im Herzen unserer Milchstraße (Abb. 9, veröffentlicht am 12.05.2022).

Abb. 9: Aufnahme des zentralen Schwarzen Lochs unserer Milchstraße, Sagittarius A*.
Quelle: jpl.nasa.gov

Mittlerweile konnte auch im Zentrum fast jeder Galaxie ein Supermassives Schwarzes Loch identifiziert werden. Die erste solche direkte Aufnahme eines zentralen Schwarzen Lochs war jedoch nicht die von Sagittarius A*, sondern die des Supermassiven Schwarzen Lochs im Zentrum der Galaxie M87, die eine Masse von etwa 6,6 Milliarden Sonnenmassen besitzt und damit um Größenordnungen schwerer ist als unser zentrales Monster.

Die Rekonstruktion unserer eigenen Welteninsel stellte die Wissenschaftler – und stellt sie immer noch – vor immense Herausforderungen. Die Erforschung ihrer Struktur und ihrer Eigenschaften erforderte die Entwicklung sehr präziser Werkzeuge sowie auch theoretischer physikalischer Modelle, die mit der beobachtbaren Realität in Einklang gebracht werden mussten.

Doch noch immer sind viele Rätsel rund um unsere Milchstraße ungelöst. Wie alt ist unsere Milchstraße genau? Was verbirgt sich hinter dem riesigen Staubband, durch das wir kaum hindurchblicken können? Und was erwartet die Milchstraße in ferner Zukunft?

Die nächsten Generationen von Astronomen werden sich den großen Herausforderungen stellen, diese und andere Fragen zu beantworten.