Dunkle Materie – Unsichtbare Materie oder Lücke in unserem Verständnis
Beobachtungen zwischen 1930 und 1960 führten zu einer erstaunlichen Erkenntnis: Die sichtbare Materie einer Galaxie reicht nicht aus, um sie zusammenzuhalten.
Das wurde durch Spektralanalysen und Rotverschiebungsmessungen sichtbar, die die Bewegungskurven von Sternen untersuchten. Bei der Untersuchung einer (nahezu) jeden Galaxie gelangte man zu der erstaunlichen Erkenntnis, dass die Sterne in den äußeren Bereichen einer Galaxie sich etwa drei- bis viermal schneller bewegen als die sichtbare Materie es ihnen gemäß der Keplerschen oder Einsteinschen Gesetze vorschreiben würde (Abb. 1).

Mit anderen Worten bedeutete das, dass die sichtbare Materie in den inneren Bereichen einer Galaxie genau ausreicht, um die Sterne auf den beobachteten Bahnen zu halten, während dies für die Sterne in den äußeren Bereichen einer Galaxie definitiv nicht der Fall war.
Als Lösungsansatz wurde die sogenannte dunkle Materie als fehlende Komponente postuliert – eine zusätzliche Materie, die genau die Gravitation erzeugen würde, die die Sterne auf den beobachteten Bahnen mit den gemessenen Geschwindigkeiten halten würde.
Verschiedene Computersimulationen, die die fehlende Massenkomponente aufzeigen sollen, ergeben für eine typische Galaxie stets in etwa das folgende Bild, das den Anteil der sichtbaren und aus Atomen bestehenden Materie – welche auch als baryonische Materie bezeichnet wird – und den der Dunklen Materie darstellt.

Quelle: https://en.wikipedia.org/wiki/Dark_matter_halo#/media/File:Dark_matter_halo.png
Unabhängig von der Methode zeigen Simulationen und Berechnungen übereinstimmend: Nur etwa 1/6 der Gesamtmasse einer Galaxie besteht aus sichtbarer Materie – der Rest wird durch die Dunkle Materie dominiert.
Um es also kurz auf den Punkt zu bringen: Die Dunkle Materie bildet die fehlende Komponente, die die Bewegung der Sterne in einer Galaxie mittels der bekannten physikalischen Gesetze erklären soll.
Woraus besteht die Dunkle Materie?
Diese essentielle Frage beschäftigt die Astronomen bereits seit vielen Jahrzehnten und führte zu vielen theoretischen Ideen über ihren Aufbau und ihre Eigenschaften.
Dunkle Materie wurde so definiert, dass sie nicht mit Licht (Photonen) interagiert – daher auch ihr Name.
Generell verfolgen eine Reihe von Astronomen zwei verschiedene Ansätze, mit denen sich die Dunkle Materie erklären und nachweisen ließe, sofern sie wirklich existiert.
Erklärungsansatz – MACHOs
Eine mögliche Idee, die die Dunkle Materie erklären könnte, stellen sogenannte MACHOs (Massive Astronomical Compact Halo Objects) dar – also sehr schwere und kompakte Objekte im Halo einer Galaxie. Eine der geäußerten Vermutungen legt nahe, dass die Dunkle Materie etwa aus vielen sehr kleinen schwarzen Löchern bestehen könnte, die fast schon zu klein für Einzelnachweise sind, in ihrer Gesamtheit aber die fehlende Masse bilden.
Mikrolinsen-Surveys fanden tatsächlich einige kleine Schwarze Löcher. Doch statistische Hochrechnungen zeigen: Sie sind viel zu selten, um die fehlende Masse zu erklären. Mit anderen Worten: Würden die MACHOs die Dunkle Materie bilden, so hätte das Survey – rein statistisch – deutlich mehr MACHOs aufspüren müssen.
Dieser Ansatz ist somit vorerst in den Hintergrund gerückt.
Erklärungsansatz – WIMPs
Eine weitere grundlegende Idee besagt, dass die Dunkle Materie aus WIMPs (Weakly Interacting Massive Particles) besteht, also aus sehr schweren hypothetischen Masseteilchen.
Leider ergaben etliche Versuche zum Aufspüren oder auch zur Herstellung dieser Teilchen in Teilchenbeschleunigern keinerlei vorzeigbare Ergebnisse, so dass mittlerweile auch starke Zweifel an dieser Theorie bestehen.
Alternativer Ansatz – Eine Modifikation bestehender physikalischer Gesetze
Wir dürfen nicht vergessen, dass die Existenz der Dunklen Materie zunächst einzig und allein auf der Diskrepanz zwischen der Beobachtung des Verhaltens von Sternen und ihrer vorhergesagten Bewegung postuliert wurde, wobei die Vorhersage auf Basis der Allgemeinen Relativitätstheorie gemacht wurde.
Einige Astronomen gehen deshalb der Idee nach, dass unsere bekannten physikalischen Gesetze – unter anderem die Allgemeine Relativitätstheorie – deshalb auf großen Skalen falsch oder zumindest ungenau sein könnten.
Eine populäre Theorie, die 1983 vorgeschlagen wurde, eine Zeit lang in Vergessenheit geriet und nun wieder modernisiert wird, ist die sogenannte MOND-Theorie (Modified Newton Dynamics). Sie postuliert eine gewisse Abwandlung der Newtonschen Mechanik, die auf eine Art und Weise aufgebaut ist, in der sie auf kleinen Distanzen nahezu mit den Newtonschen Bewegungsgesetzen übereinstimmt, auf großen Skalen allerdings viel eher die beobachtete Bewegung der Sterne in einer Galaxie liefert und damit deutlich von Newtons Theorie abweicht.
Allerdings gibt es bis heute keine brauchbaren Belege für die Richtigkeit der MOND-Theorie, weswegen sie derzeit keine breite Akzeptanz genießt. Zudem hat die Allgemeine Relativitätstheorie alle Überprüfungen, denen sie über die letzten 110 Jahre unterzogen wurde, mit Bravour bestanden und wies keinerlei nachweisbare Abweichung von ihren Vorhersagen auf.
Dennoch werden immer noch Modifikationen der MOND-Theorie untersucht, die sie mit Beobachtungen besser in Einklang bringen sollen.
Zusammenfassend fehlt somit bis heute jeglicher Nachweis für der Existenz der Dunklen Materie, aber auch dafür, dass etwas mit unseren Kenntnissen der physikalischen Gesetze nicht stimmen könnte. Das Rätsel bleibt somit vorerst ungelöst.
Doch nicht nur die Rotation von Galaxien gibt uns Rätsel auf – auch die Expansion des Universums selbst wirft ein großes Problem auf.
Dunkle Energie – Der Motor, der das Universum auseinandertreibt
Nachdem sich die Hinweise auf den Urknall verdichtet haben, wurden Modelle für die daraus resultierende Expansion des Universums ausgearbeitet. Unabhängig davon, ob diese Modelle die Dunkle Materie miteinbeziehen oder nicht, haben sie eine sehr grundlegende gemeinsame Eigenschaft: Nach dem Urknall, dem initialen Auslöser für die Expansion, ist die Gravitation, die an jedem Massenpunkt angreift, stets nach innen gerichtet und die gesamte Expansion wird somit abgebremst.
Untersuchungen der Supernovae haben im Jahre 1995 allerdings die sehr überraschende Erkenntnis ans Licht gebracht, dass diese Annahme nicht länger haltbar ist.
Tatsächlich wurde, wenn man durch einen Blick in das immer tiefere Universum und damit in seine Vergangenheit wirft, die Expansion bis zum halben derzeitigen Alter des Universums (13,8 Mrd. Jahre) abgebremst, danach jedoch machte dieser Prozess eine Kehrtwende und die Expansion wurde beschleunigt (Abb. 3).

Quelle: https://de.wikipedia.org/wiki/Expansion_des_Universums#/media/Datei:Expansion_des_Universums.png
Dieser Prozess steht zunächst einmal im Widerspruch zu der bekannten Himmelsmechanik – eine beschleunigte Expansion kann nicht durch eine nach innen gerichtete Kraft verursacht werden. Es müssen also zusätzliche Kräfte an allen Galaxien angreifen, die sich jetzt in immer größerem Tempo voneinander entfernen.
Ähnlich wie im Falle der Dunklen Energie wurde für diese hypothetische Energie, die das Universum auseinandertreibt, der Begriff der Dunklen Energie 1998 (von Michael S. Turner) eingeführt.
Eine potentielle Beschreibung der Dunklen Energie liegt aber tatsächlich bereits in Albert Einsteins Allgemeiner Relativitätstheorie verankert. Einstein führte in seinen Feldgleichungen zusätzlich seine kosmologische Konstante ein, um ein statisches Universum – an das er damals glaubte – zu beschreiben. Als dann in den 1920er-Jahren die Expansion des Universums als Tatsache feststand und man zudem entdeckte, dass es Lösungen seiner Feldgleichungen gab, die ein expandierendes Universum beschreiben, verwarf er sie wieder. Er bezeichnete sie sogar als seine „größte Eselei“.
Nach der Entdeckung der beschleunigten Expansion in den 1990er-Jahren wurde klar: Die einst verworfene kosmologische Konstante passt genau in Einsteins Feldgleichungen – sie beschreibt die Expansion präzise. Nur ihr genauer Wert musste noch bestimmt werden.
Verschiedene Untersuchungen können heute einen übereinstimmenden und recht genauen Wert für die kosmologische Konstante angeben. Berücksichtigt man die Äquivalenz zwischen Energie und Masse, dann ergeben sich für das heutige Universum die folgenden Anteile (Abb. 4): Baryonische Materie – 4,6%, Dunkle Materie – 23%, Dunkle Energie – 72%.

Quelle: https://de.wikipedia.org/wiki/Dunkle_Energie#/media/Datei:WMAP_2008_universe_content_de.png
Alternativer Erklärungsansatz – Die Multiversum-Theorie
Moderne Erklärungsansätze gehen unter anderem von der Idee der Existenz eines Multiversums aus. Gemäß dieser Theorie bilden sich – wie der Name bereits sagt – viele Universen, so dass unser Universum eines von sehr vielen solcher Universen ist. Einige dieser Modelle implizieren eine beschleunigte Expansion unseres Universums ohne die Notwendigkeit der Existenz der Dunklen Energie.
Obwohl tatsächlich einige Indizien für ein Multiversum sprechen könnten, gibt es bislang keine direkte experimentelle Bestätigung für diese Hypothese.
Bis zum heutigen Tag bleiben die Dunkle Materie und die Dunkle Energie zwei der größten Rätsel der modernen Kosmologie. Ob sie wirklich existieren oder ob unser Verständnis der Physik grundlegend überarbeitet werden muss, wird die Zukunft zeigen.