Entfernungsmessung im All – Wie groß ist die Unendlichkeit?

Wenn wir in einer dunklen, klaren Nacht nach oben schauen, sehen wir viele Objekte, die nicht nur uns, sondern schon die ersten Zivilisationen fasziniert und in ihren Bann gezogen haben. Was genau ist der Mond, der teils auch am helllichten Tag sichtbar ist? Warum leuchten so viele kleine Lichter am Firmament? Was sind das für Objekte und wie weit sind sie von uns entfernt? Sind sie winzig und nah, oder doch gigantisch und in schier unvorstellbarer Entfernung?

Unter diesen Lichtpunkten entdecken wir bei genauerem Hinsehen unter guten Bedingungen auch Nebelflecken. Manche Punkte scheinen über ein ganzes Menschenleben hinweg an derselben Stelle zu stehen, während andere über den Himmel zu wandern scheinen. Die einen schnell, die anderen langsam. Sind dies kleine Objekte in relativer Nähe? Oder riesige Gebilde in unfassbarer Ferne?

Die Geschichte der Astronomie zeigt sehr eindrucksvoll, wie die Menschheit im Laufe der Jahrtausende die meisten dieser Fragen beantworten konnte – und vor allem, wie kreativ die Astronomen bei der Beantwortung solcher Fragen vorgingen. Doch bevor wir uns in die Weiten des Weltalls hinauswagen, werfen wir einen Blick auf die älteste dieser Fragen. Die Frage nach der Gestalt unserer eigenen Welt – der Erde.

Die Erde – Getragen auf Elefanten oder doch eine Kugel in der Unendlichkeit?

Bei den frühen Zivilisationen herrschte überwiegend das Weltbild einer flachen Erde. Diese flache Erde wurde, je nach Zivilisation, von verschiedenen Tieren getragen, etwa von Elefanten, die wiederum auf einer gigantischen Schildkröte standen, die in einem noch gigantischeren Ozean langsam vor sich hintrieb (Abb. 1).

Abb. 1: Die flache Erde, getragen von Elefanten, die von einer riesigen Schildkröte getragen werden, die sich in einem unendlichen Ozean bewegt.
Quelle: https://en.wikipedia.org/wiki/World_Turtle#/media/File:PSM_V10_D562_The_hindoo_earth.jpg

Im antiken Griechenland – damals dem kulturellen und wissenschaftlichen Vorreiter – setzte sich aber langsam die Erkenntnis durch, dass die Erde eine Kugelform haben könnte. Der griechische Gelehrte Eratosthenes von Kyrene (ca. 276 – 194 v. Chr.) hat eine erste Schätzung für den Erdradius vorgenommen für den Fall, dass die Erde tatsächlich eine Kugelform besitzt.

Eratosthenes nahm an, dass die ägyptischen Städte Alexandria (an der Mittelmeerküste) und Syene (das heutige Assuan, die südlichste Stadt des Landes) auf demselben Meridian (Längengrad) liegen. Der Abstand zwischen diesen beiden von Eratosthenes festgelegten Messpunkten in den beiden Städten betrug (nach seiner Kenntnis) 5000 Stadien. An beiden Orten stellte er ein Gnomon – einen Schattenzeiger – auf, eine innen mit einer Gradeinteilung ausgestattete metallene Halbkugel mit einem senkrechten Zeiger zur Ablesung des entstehenden Schattens. Die Messung der Sonnenhöhe über dem Horizont wurde mit diesen Geräten mittags am Tag der Sommersonnenwende durchgeführt. Sie ergab, dass der Schattenzeiger in Syene keinen Schatten warf und die Sonne also dort genau im Zenit stand. In Alexandria dagegen war die Sonne zu diesem Zeitpunkt den „fünfzigsten Teil“ eines Vollkreises vom Zenit entfernt. Mit anderen Worten ergab seine Messung mit den Bezeichnungen aus Abb. 2 dann

\(\varphi = \frac{360^\circ}{50} = 7{,}2^\circ .\)

Abb. 2: Die Vermessung des Erdradius nach der Methode von Eratosthenes.

Für den Erdumfang U gilt demnach

\(U = 50 \cdot 500 \ \text{Stadien} = 250.000 \ \text{Stadien} .\)

Der damals für die Vermessung verwendete Begriff „Stadion“ ist allerdings bis heute nicht gänzlich klar. Die Vermutungen schwanken, je nach historischer Quelle, zwischen 148,8 und 180 Metern. Für eine Stadionlänge von 180 Metern bekommen wir für den Erdumfang beispielsweise den Wert

\(U = 250.000 \cdot 0{,}180 \ \text{km} = 45.000 \ \text{km},\)

für eine Länge von 148,8 Meter dagegen den Wert

\(U = 250.000 \cdot 0{,}1488 \ \text{km} = 37.200 \ \text{km}.\)

Verglichen mit dem tatsächlichen Wert für den Äquatorumfang

\(U = 40.075 \ \text{km}\)

weicht dieser Wert nur vergleichsweise wenig vom Literaturwert ab und stellte damit eine Meisterleistung der damaligen griechischen Wissenschaft dar.

Natürlich waren seine Messungen fehlerbehaftet, woraus auch der abweichende Wert für den Erdumfang zustande kam. Beispielsweise liegen die beiden genannten Städte nicht ganz auf demselben Längengrad, sondern weisen einen geringen Längenunterschied (von 3°) auf. Eine weitere Fehlerquelle war eine leicht fehlerhafte Winkelmessung.

Die Gelehrten im antiken Griechenland schlugen ebenfalls eine Idee vor, das Verhältnis

(Abstand Erde – Sonne) : (Abstand Erde – Mond)

zu ermitteln, indem sie bei Halbmond den Winkel \(\alpha\) zwischen dem Sonnenmittelpunkt, dem Beobachter und dem Mondmittelpunkt messen (Abb. 3).

Abb. 3: Die Bestimmung der Sonnenabstands in Abhängigkeit vom Mondabstand in der Antike.

Ihre Messung ergab den Wert \(\alpha \approx 87^\circ\). Daraus konnten sie durch Abmessung oder durch Konstruktion eines ähnlichen Dreiecks auf die Beziehung

\(\frac{b}{a} \approx 19 \ \text{ bzw. } \ b \approx 19 \cdot a\)

schließen, was also nichts anderes als

(Abstand Erde – Sonne) ≈ 19 x (Abstand Erde – Mond)

bedeutete. Da sie allerdings noch keine Werkzeuge hatten, die solche Winkel mit einer hierfür benötigten Genauigkeit vermaßen und zudem nicht den Effekt der Lichtbrechung der Erdatmosphäre kannten, war dieser Wert nicht ganz korrekt. Der korrekte Wert beträgt in etwa \(\alpha \approx 89{,}85^\circ\), was bereits zu einer deutlich anderen Größenordnung des Abstandsverhältnisses führt, nämlich zu

(Abstand Erde – Sonne) ≈ 382 x (Abstand Erde – Mond)

Doch ganz gleich, wie das korrekte Verhältnis auch lauten mag, man hatte immer noch keine Vorstellung von den absoluten Größen der Abstände, sondern eben nur von ihrem Verhältnis. Sie wussten also zumindest bereits, dass die Sonne damit viel weiter entfernt ist als der Mond, aber sie würden nicht umherkommen, einen Referenzwert zu bestimmen, um den anderen Abstand zu ermitteln.

Die Bestimmung des Mondabstands nach Lalande und Lacaille Im Jahr 1752 nahmen Lalande und Lacaille von Berlin bzw. von Kapstadt Winkelmessungen vor, als der Mond den Meridian passierte. Die Breiten \( 52{,}52^\circ\) von Berlin und \(-33{,}92^\circ\) von Kapstadt waren ihnen bekannt. Die Messung zweier Winkel zu einem vereinbarten Punkt auf der Mondoberfläche gestattete dann durch einfache mathematische Berechnungen die Ermittlung des Abstands zum Mond (Abb. 4).

Abb. 4: Die Bestimmung des Mondabstandes nach Lalande und Lacaille.

Durch die Messung der Winkel \(\gamma \approx 41{,}26^\circ\) und \(\delta \approx 46{,}56^\circ\) ergab sich dann für den Abstand d vom Erdmittelpunkt zum anvisierten Punkt auf dem Mond der Wert

\(d \approx 366.514 \ \text{km}.\)

Der heute bekannte Wert für den mittleren Abstand des Mondes zur Erde beträgt in etwa 384.400 km, der wahre Abstand variiert jedoch aufgrund der elliptischen Form der Mondumlaufbahn zwischen 363.300 km und 405.500 km. Das damals ermittelte Ergebnis fügt somit sehr gut in das Bild der modernen Messungen.

Die Idee, die die beiden nutzten, ähnelt im Grunde sehr stark einem Prinzip, das wir Menschen eigentlich permanent nutzen, um Abstandsschätzungen vorzunehmen – ohne, dass es uns bewusst ist. Genauer gesagt machen unser Auge und unser Gehirn sekündlich etliche Abstandsmessungen. Indem unsere beiden Augen ein Objekt aus leicht unterschiedlichen Positionen sehen, errechnet unser Gehirn daraus eine Abstandsschätzung zum Objekt, sofern das Objekt nicht zu weit entfernt ist (Abb. 5).

Abb. 5: Beobachtung eines Objekts von zwei verschiedenen Standorten. Die Kombination beider Informationen ergibt eine Abstandsschätzung.

Technisch gesehen verschiebt sich das Objekt, für das man den Abstand schätzen möchte, visuell vor einem weit entfernten (idealisiert: „unendlich weit entfernten“) Hintergrund. Genau diese Verschiebung liefert dann unter der Kenntnis unseres Augenabstands dann die ungefähre Entfernung zum Objekt.

Auf dieses Prinzip werden wir später noch mehrmals zurückkommen.

Die Bestimmung der astronomischen Einheit – eine Jahrhundertexpedition

1716 schlug Edmund Halley vor, den seltenen Venustransit für die Bestimmung der Astronomischen Einheit AU (Astronomical Unit = mittlerer Abstand der Erde zur Sonne) zu benutzen. Beobachtungen sollten von Kapstadt und von London aus gemacht werden (Abb. 6).

Abb. 6: Die Bestimmung der Astronomischen Einheit (AU) nach Halley. Von zwei weit entfernten Orten auf der Erde würde der Transit eine leichte Variation in den Durchgangszeiten ergeben, was in eine Abstandsbestimmung zur Sonne umgerechnet werden kann.

Halley wusste, dass die nächsten Venustransite in den Jahren 1761 und 1769 stattfinden werden (und kannte sogar das genaue Datum), er selbst jedoch wusste, dass er diese nicht mehr erleben werde. Tatsächlich wurde Halleys Idee aufgegriffen und zwei große Expeditionen von der internationalen wissenschaftlichen Gemeinschaft um die ganze Welt organisiert, um den Venustransit zu beobachten und Daten zu sammeln, die eine Abstandsberechnung zur Sonne ermöglichen sollten.

Während die Messungen des Venustransits im Jahr 1761 eine Ungenauigkeit von etwa 20% mit sich brachten, verbesserten sich die Messdaten im Jahr 1769 soweit, dass die Berechnungen der Astronomischen Einheit seitens verschiedener Astronomen lediglich eine Schwankung von etwa 4% aufwiesen. Für die damalige Zeit eine absolute Meisterleistung der gesamten astronomischen Gemeinschaft.

Technisch gesehen würde man für die Berechnung des AU das Verhältnis

\(\frac{\text{Abstand Erde – Venus}}{\text{Abstand Erde – Sonne}} = \frac{d_{\text{EV}}}{ d_{\text{ES}}}\)

benötigen, das entweder durch Anwendung der Keplerschen Gesetze erfolgt (weiter unten), oder nach direkter Beobachtung der Halbvenus bestimmt werden kann (Abb. 7).

Abb. 7: Die Bestimmung des Verhältnisses der Abstände Sonne-Erde und Sonne-Venus.

Unter der Annahme einer kreisförmigen Umlaufbahn für Venus und die Erde würde sich der Wert

\(d_{\text{VS}} = 0{,}723 \ \text{AU}\)

ergeben, und damit dann also

\(d_{\text{EV}} = 0{,}277 \ \text{AU}.\)

Neben den Venusdurchgängen in den Jahren 1761 und 1769 wurden weitere Daten in den Jahren 1874 und 1882 an verschiedensten Orten der Erde gesammelt. Die Ergebnisse waren jedoch nicht befriedigend genau und die damals bekannten Messungen schwankten letztendlich um einige Millionen Kilometer.

Rund neun Jahre lang analysierte der Astronom William Harkness die Bilder, sowie andere von einem Transit im Jahr 1874. In einer Veröffentlichung 1891 gab er dann den Wert für die Astronomische Einheit mit 149,3 Mio. km an, die dem tatsächlichen Wert von 1 AU = 149,6 Mio. km bereits äußerst nahe kam. Verbessert wurde die Messung lediglich durch den Vorbeiflug des Asteroiden Eros im Jahr 1930, der schließlich den heutigen Literaturwert für die Astronomische Einheit lieferte.

Johannes Kepler und die Vermessung des Sonnensystems

Die Methode von Lalande und Lacaille funktioniert für die Bestimmung der Planetenentfernungen leider nicht, denn die gemessenen Winkelunterschiede wären schlicht zu gering für eine genaue Messung. Man kann aber bestimmte physikalische Gesetze ausnutzen, um – ausgehend von einem Referenzwert – die Entfernungen aller anderen Planeten von der Sonne zu bestimmen.

Einen entscheidenden Schritt in diese Richtung tat der Astronom Johannes Kepler, indem er durch sehr akkurate Messungen seine drei Keplerschen Gesetze formulierte. Streng bewiesen wurden seine Gesetze aber erst von Isaac Newton. In seinem ersten Gesetz formulierte Kepler, dass unsere Planeten sich stets auf elliptischen Umlaufbahnen um die Sonne bewegen, wobei die Sonne in einem der beiden Brennpunkte der Ellipse liegt (Abb. 8).

Abb. 8: Das erste Keplersche Gesetz – die Planeten bewegen sich stets auf elliptischen Umlaufbahnen um die Sonne, und die Sonne liegt in einem der beiden Brennpunkte der Ellipse.

Entscheidend für eine Entfernungsbestimmung eines Planeten in unserem Sonnensystem ist das 3. Keplersche Gesetz, dessen Formulierung wie folgt lautet:

3. Keplersches Gesetz: Für einen Körper, der sich auf einer elliptischen Umlaufbahn um die Sonne bewegt, ist das Verhältnis vom Quadrat der Umlaufzeit T und dem Kubus der großen Halbachse a ist konstant (und hängt nur von der Masse des zentralen Sterns ab). Mit anderen Worten ist also

\(\frac{T^2}{a^3} = \text{const.}\)

Das bedeutet also, dass für zwei Körper mit Umlaufzeiten \(T_1\) und \(T_2\) und großen Halbachsen \(a_1\) und \(a_2\), die um die Sonne kreisen, gilt:

\(\frac{T_1^2}{a_1^3} = \frac{T_2^2}{a_2^3}.\)

Vernachlässigt wird hierbei natürlich, dass die beiden Körper ebenso eine leichte gravitative Anziehung aufeinander ausüben und ihre Bahnform somit streng genommen von einer Ellipse geringfügig abweicht.

Wenn wir also von einem Referenzkörper die Umlaufzeit und die große Halbachse kennen, ebenso wie die Umlaufzeit eines anderen Körpers, dann können wir auch seine Halbachsenlänge bestimmen. Ausgehend von den bereits bestimmten Werten für die Erde (T = 365,25 d und a = 149.600.000 km) können wir dann (nach einer Messung der Umlaufzeiten der Planeten) die folgende Tabelle bekommen:

*) Seit 2006 zählt Pluto nicht mehr zu den Planeten, sondern zu den Zwergplaneten.

Dabei kann der Radius des Planeten durch eine Messung des Öffnungswinkels, unter dem wir den Planeten sehen, bestimmt werden.

Die Parallaxenmethode – unsere stellare Nachbarschaft

Ähnlich wie bei der Idee von Lalande und Lacaille kann man sich das Prinzip unseres Auges in der Astronomie zunutze machen, um Abstände zu nahgelegenen Sternen zu bestimmen. Als Augen dienen allerdings die verschiedenen Positionen der Erde entlang ihrer Umlaufbahn, deren Durchmesser in etwa 300.000.000 km beträgt. Diese Methode trägt den Namen Parallaxenmethode (Abb. 9).

Abb. 9: Die Parallaxenmethode zur Bestimmung des Sternenabstands.
Quelle: https://de.wikipedia.org/wiki/Parallaxe#/media/Datei:ParallaxV2.svg

Das Wort Parallaxe wird von altgriechischen παράλλαξις (parállaxis – „Veränderung, Hin- und Herbewegen“ abgeleitet und bedeutet die scheinbare Änderung der Position eines Objektes durch verschiedene Positionen des Beobachters.

Tatsächlich sind die auftretenden Winkeländerungen äußerst gering, und es sind sehr feine Instrumente notwendig, um die Winkeländerungen zu messen. Außerdem müssen Effekte ausgeschlossen werden, die die Messung deutlich verfälschen könnten wie etwa die Aberration, die aus den ersten Messungen nicht herausgerechnet wurde und die Ergebnisse deutlich verfälschte.

Erst 1838 gelang Friedrich Wilhelm Bessel die erste Parallaxenmessung. Er wählte den Schnellläufer – einen Stern mit großer jährlicher Eigenbewegung – 61 Cygni aus und konnte die halbjährliche Winkeländerung nach längeren Analysen zu 0,31″ (0,000086 Grad) bestimmen. Der moderne Wert beträgt 0,29″.

Wir können einige Beispiele für Parallaxen nahegelegener Sterne betrachten:

  • Proxima Centauri (Entfernung ca. 4,24 Lichtjahre): Seine jährliche beträgt 0,772‘‘ (0,00021°).
  • 61 Cygni (Entfernung ca. 11,4 Lichtjahre): Seine jährliche Parallaxe beträgt 0,29‘‘ (0,00008°).

Allen voran bei Schnellläufern muss die große Eigenbewegung herausgerechnet werden – die Eigenbewegung von Proxima Centauri beträgt 10,4 Bogensekunden im Jahr und damit etwa das 13,5-fache der eigenen Parallaxe (Abb. 10).

Abb. 10: Die Eigenbewegung von Barnards Stern. Die Aufnahmen stammen aus den Jahren 2001, 2004, 2007 und 2010.
Quelle: https://anthrowiki.at/Barnards_Pfeilstern#/media/Datei:Barnard_Star_2001-2010.gif

Mit modernen Satelliten ist die Parallaxenmethode anwendbar auf Sterne, die bis zu etwa 1.000 Parsec (über 3.000 Lichtjahre) entfernt sind. In den 1990ern gelangen mit dem europäischen Astrometriesatelliten Hipparcos genaue Parallaxenmessungen für 118.000 Sterne. Der Nachfolger Gaia (gestartet im Dezember 2013) begann Anfang 2014 damit, noch vierzigmal genauere Messungen an etwa 1 Milliarde Sternen durchzuführen.

Man kann die folgende Näherungsformel für die Abstandsberechnung benutzen, falls der Parallaxenwinkel a in Bogensekunden bekannt ist:

\(d \approx \frac{3{,}262}{\alpha}.\)

Das Ergebnis d entspricht dann dem Abstand des Sterns in Lichtjahren.

Für den Stern Proxima Centauri ist a = 0,772‘‘, und wir bekommen dann den Abstand

\(d \approx \frac{3{,}262}{0{,}772} \approx 4{,}23.\)

Der Literaturwert beträgt 4,24 Lichtjahre.

Für den Stern Wega ist der Parallaxenwinkel a = 0,130‘‘, ihre Entfernung in Lichtjahren ist damit also

\(d \approx \frac{3{,}262}{0{,}130} \approx 25{,}1.\)

Sie entspricht fast genau dem Literaturwert von 25 ± 0,1 Lichtjahren.

Abb. 11: Der Stern Wega.

Unsere Milchstraße reicht jedoch deutlich weiter als die fernsten Sterne, deren Abstand sich noch mit Hilfe der Parallaxenmethode bestimmen lässt. Es mussten also Methoden gefunden werden, um deutlich größere Abstände bestimmen zu können …

Die Cepheiden – unsere kosmischen Standardkerzen

Im Jahr 1784 entdeckte der englische Astronomen John Goodricke, dass der Stern Delta Cephei im Sternbild Kepheus ein veränderlicher Stern ist (Abb. 12).

Abb. 12: Der Stern Delta Cephei.
Quelle: https://de.wikipedia.org/wiki/Delta_Cephei#/media/Datei:Cepheus_constellation_map.svg

Delta Cephei ist ein Gelber Überriese, der sich in einer Entfernung von 887 Lichtjahren von der Sonne befindet. Seine scheinbare Helligkeit schwankt mit einer Periode von 5,36643 Tagen zwischen 3,48m und 4,37m.

Die Astronomin Henrietta Swan Leavitt befasste sich insbesondere mit solchen veränderlichen Sternen und hat 1904 bereits 172 veränderliche Sterne in der Großen und 59 in der Kleinen Magellanschen Wolke gefunden. 1905 fand sie bereits 843 neue veränderliche Sterne in der Kleinen Magellanschen Wolke. Schließlich konnte sie 1912 eine Perioden-Leuchtkraft-Beziehung bei Sternen dieses Typs – sogenannten δ-Cepheiden, pulsierenden Sternen mit einer Masse von ca. 4 – 10 Sonnenmassen– aufstellen. Sie fand, dass ihre Pulsationsdauer nur von ihrer absoluten Helligkeit, also der Helligkeit in einer fixen Entfernung (konventionsgemäß 10 Parsec),abhängt. Nur kurze Zeit später erkannte die Astronomie die außerordentlich große Bedeutung dieser δ-Cepheiden in der Distanzbestimmung auf kosmischen Maßstäben.

1921 starb Leavitt an Krebs. In Unkenntnis ihres Todes erwog der schwedische Mathematiker Gösta Mittag-Leffler 1925, Leavitt für einen Nobelpreis vorzuschlagen. Da dieser aber nicht postum verliehen wird, ging sie leider leer aus.

Die Entfernungsbestimmung mittels der δ-Cepheiden erfolgt nach dem folgenden Prinzip. Die initiale Aufstellung der Perioden-Leuchtkraft-Beziehung für die δ-Cepheiden erfolgte durch ihre Untersuchung in der Großen und der Kleinen Magellanschen Wolke – dies war deshalb möglich, weil ihre Entfernung zu uns stets in etwa dieselbe war, da der Durchmesser der beiden Zwerggalaxien deutlich kleiner ist als ihre Entfernung zu uns, weshalb sie sich alle in etwa „am selben Ort tummeln“. Ein Vergleich mit δ-Cepheiden in unserer eigenen stellaren Umgebung, deren Abstände wir durch die Parallaxenmethode ermitteln können, liefert eine Eichung der δ-Cepheiden auf kosmischen Maßstäben unter Berücksichtigung des sogenannten Abstandsgesetzes (Abb. 13): Die Strahlungsintensität I einer Lichtquelle fällt quadratisch mit dem Abstand r von der Lichtquelle, also

\(I \sim \frac{1}{r^2}.\)

Abb. 13: Das Abstandsgesetz. In doppeltem Abstand verteilt sich die Lichtmenge auf die vierfache Fläche. Die Helligkeit fällt somit quadratisch.

Mit anderen Worten liefert ein direkter Vergleich der relativen Helligkeiten nahegelegener δ-Cepheiden und der δ-Cepheiden in den Magellanschen Wolken auch direkt die Entfernungen zu den beiden Zwerggalaxien.

Im Jahr 1923 konnte Edwin Hubble (1889 – 1953), ein US-amerikanischer Astronom und einer der bedeutendsten Astronomen der jüngeren Geschichte (Abb. 14), nachweisen, dass die Andromedagalaxie – damals noch bekannt als „Andromedanebel“ – außerhalb unserer Galaxie lag.

Abb. 14: Der Astronom Edwin Hubble.
Quelle: https://de.wikipedia.org/wiki/Edwin_Hubble#/media/Datei:Studio_portrait_photograph_of_Edwin_Powell_Hubble_(cropped).JPG

Für diesen Nachweis ging er wie folgt vor:

  • Er konzentrierte sich auf das Auffinden von δ-Cepheiden im Andromedanebel.
  • Nach einer Zeit fand er einen δ-Cepheiden im Andromedanebel (Kennzeichnung: „VAR“ = variable, die Originalfotoplatten sind unter https://carnegiescience.edu/about/history/archives/plate-archives/m31var abgebildet).
  • Anhand seiner Leuchtkraft konnte er seine Entfernung (ungefähr) bestimmen. Sie betrug etwa 900.000 Lichtjahre (der korrekte Wert ist etwa 2.500.000 Lichtjahre).
  • Da die weitesten Sterne der Milchstraße etwa 100.000 Lichtjahre entfernt lagen, schloss er daraus, dass der Andromedanebel nicht Teil der Milchstraße ist. Sie ist somit eine eigenständige Galaxie.

Dieselbe Methode wurde anschließend verwendet, um für weitere Nebel nachzuweisen, dass es eigenständige Galaxien sind. Tatsächlich beruhte Hubbles Fehler noch darauf, dass er in Unkenntnis einer korrekten Klassifikation der δ-Cepheiden – der δ-Cepheiden vom Typ I und Typ II – die beiden Cepheidentypen nicht unterschied. Dennoch lag seine Schätzung in der korrekten Größenordnung und brachte der Astronomie eine revolutionäre Erkenntnis – unsere Welteninsel ist nicht einzigartig, sondern nur eine von sehr, sehr vielen.

Die Methode der δ-Cepheiden kann Entfernungen von bis zu einigen Hundert Millionen Lichtjahren messen, auf noch größeren Distanzen sind die δ-Cepheiden allerdings schon viel zu leuchtschwach, um wahrgenommen zu werden, trotz ihrer enormen Leuchtkraft. Zur Messung noch größerer Distanzen müssen also andere Mittel eingesetzt werden …

Supernovae vom Typ Ia

δ-Cepheiden haben leider nur eine beschränkte Reichweite, die etwa im Bereich von 100 Megaparsec liegt, weswegen sie sich für die Messung noch größerer Entfernungen leider nicht mehr eignen. Es gibt jedoch einen weiteren Typ von Standardkerzen, der von wesentlich größeren Entfernungen aus zu sehen ist – die Supernovae vom Typ Ia.

Supernovae vom Typ Ia sind Weiße Zwerge – das sind kompakte Leichen eines Sterns, nachdem er die Phase des Roten Riesen durchlebt hat und kollabiert ist –, die mit einem Begleitstern leben, von dem sie kontinuierlich Materie absaugen. Durch diese Massenakkretion gewinnt der Weiße Zwerg immer mehr Masse und überschreitet irgendwann die sogenannte Chandrasekhar-Grenze, woraufhin der Weiße Zwerg schlagartig kollabiert und in einer Supernova vom Typ Ia explodiert (Abb. 15).

Abb. 15: Eine Supernova vom Typ Ia.
Quelle: https://de.wikipedia.org/wiki/Datei:Artist’s_impression_of_vampire_star.ogv

Diese Massengrenze für einen Weißen Zwergen geht auf den Physiker Subrahmanyan Chandrasekhar (Abb. 16) zurück und beträgt etwa – je nach chemischer Zusammensetzung des Weißen Zwergen – 1,44 Sonnenmassen.

Abb. 16: Der US-amerikanische Astrophysiker Subrahmanyan Chandrasekhar (1910 – 1995), der die nach ihm benannte Massengrenze mit 19 Jahren fand. 1983 erhielt er für seine Arbeiten den Nobelpreis für Physik.
Quelle: https://de.wikipedia.org/wiki/Subrahmanyan_Chandrasekhar#/media/Datei:Subrahmanyan_Chandrasekhar.gif

Diese Supernovae vom Typ Ia besitzen stets denselben Helligkeitsverlauf, weshalb sie sich, genau wie die δ-Cepheiden, standardisiert eichen lassen und damit eine Standardkerze für Entfernungsmessung darstellen. Diese sind nicht zu verwechseln mit anderen Supernovae-Typen wie etwa den Supernovae vom Typ II, bei der ein Roter Riese explodiert – ihre Helligkeitskurven sind tatsächlich stets unterschiedlich, was eine standardisierte Eichung nicht zulässt.

Supernovae sind allgemein äußerst leuchtkräftige Erscheinungen. Supernovae können zum Zeitpunkt ihres Helligkeitspeaks sogar ihre gesamte Heimatgalaxie überstrahlen, weshalb sie (mit entsprechenden Instrumenten) über riesige Distanzen registriert werden können – in der Tat sogar fast bis zum Rand des sichtbaren Universums. Insbesondere gelten Supernovae vom Typ Ia heute als die genauesten Standardkerzen, die zur Entfernungsmessung herangezogen werden.

Ende der 1990er Jahre gab es Arbeiten, die mit Hilfe einer sehr genauen Untersuchung der Supernovae vom Typ Ia zu dem Schluss kamen, dass die Expansion des Universums sich beschleunigt – im völligen Widerspruch zu den damals herrschenden und allseits akzeptierten Theorien (s. auch [LINK ZU Der Urknall und die Expansion des Universums]). Diese Entdeckung prägte den Begriff „Dunkle Energie“, der die (bislang nur hypothetische) Energie bezeichnet, die diese mysteriöse Expansionsbeschleunigung verursacht.

Die kosmische Entfernungsleiter

Bis heute wurden, vor allem mit Hilfe moderner Analysegeräte, viele Methoden entwickelt, die eine (mehr oder weniger) zuverlässige Entfernungsmessung im Universum erlauben. Jede der Methoden besitzt einen eigenen Geltungs- und Genauigkeitsbereich. Die Zusammensetzung aller dieser Methoden, die aufeinander aufbauend Entfernungsschätzungen im All gestattet, bezeichnet man als die kosmische Entfernungsleiter.

Moderne Messungen und Messinstrumente können beispielsweise unser Sonnensystem bereits mit einer ungeahnten Genauigkeit vermessen. Die Entfernung zum Mond wird beispielsweise heutzutage äußerst präzise mit Unterstützung laserbasierter Methoden gemessen (Abb. 17).

Abb. 17: Der Retroreflektor der Apollo-11-Mission.
Quelle: https://de.wikipedia.org/wiki/Lunar_Laser_Ranging#/media/Datei:Apollo_11_Lunar_Laser_Ranging_Experiment.jpg

Hierdurch hat man unter anderem festgestellt, dass unser Mond sich langsam von uns entfernt und in etwa 3 Milliarden Jahren den Erdorbit vollständig verlassen wird.

Wie weit blicken wir heute in das All?

Heutzutage verfügen wir über hervorragende Instrumente und Aufnahmetechniken, um tief ins All blicken zu können – selbst Hobbyastronomen. Tatsächlich können Hobbyastronomen – nicht zuletzt dank moderner digitaler Fotografie sowie Bearbeitungsmöglichkeiten – heute Objekte in einer Entfernung von mehreren Milliarden Lichtjahren aufnehmen, was bereits deutlich über die Entfernungen hinausreicht, mit denen professionelle Astronomen in den 1960er Jahren gearbeitet haben.

Das James Webb Space Telescope (JWST) findet heutzutage laufend Galaxien, deren Licht über 13 Milliarden Jahren benötigt, um zu uns zu gelangen. Das Alter des Universums wird heute auf etwa 13,8 Milliarden Jahre geschätzt, was bedeutet, dass das JWST in eine längst vergangene kosmische Epoche blickt, die nur kurz nach dem Urknall liegt.

Im Laufe der Jahrtausende hat die Menschheit gelernt, mit teils äußerst trickreichen Ideen und Methoden unser Universum zu vermessen und zu erforschen – und Wissen zu erlangen über abgelegene Gegenden unserer riesigen kosmischen Welt, in der wir nie waren und höchstwahrscheinlich auch niemals gelangen werden. Doch vielleicht stehen wir – ähnlich wie Kepler, Hubble und Einstein – schon kurz vor der nächsten revolutionären Entdeckung, die unser gesamtes Weltbild vollständig auf den Kopf stellen wird …