Seit etwas mehr als einhundert Jahren ist es Gewissheit: Unsere riesige Welteninsel, die Milchstraße, deren herrlich leuchtendes Band sich wie ein silbriger Bogen über den sommerlichen Nachthimmel spannt, ist nicht allein. Wir sind umgeben von Abermilliarden anderer Galaxien – manche von ihnen sind zwergenhafter Gestalt, andere wiederum sind kosmische Titanen, die selbst unsere Milchstraße weit in den Schatten stellen.
Doch je weiter wir mit modernen Mitteln in die Tiefen des Universums blicken, desto häufiger stellen wir fest: Unsere galaktische Population ist viel umfangreicher als wir glaubten. Und selbst diese riesigen Welteninseln leben nicht gern allein – auch sie verbinden sich zu übergeordneten Strukturen, die schließlich in einem das sichtbare Universum umfassenden kosmischen Netz gipfeln. Einem gigantischen Spinnennetz, in dem unsere eigene Galaxie kleiner als ein Staubkorn ist.
Galaxien verklumpen – genau wie Staub oder Algen
Als Charles Messier und Pierre Mechain und später Wilhelm Herschel und andere Astronomen begannen, kosmische Objekte systematisch zu kategorisieren, verzeichneten sie viele matte Nebelflecken, von denen einige eine ausgeprägte Spiralstruktur zu besitzen scheinen. Und tatsächlich war man sich bis in die Anfänge des 20. Jahrhunderts nicht sicher, ob sie Teil unserer gigantischen Milchstraße sind oder ob sie doch eigenständige Welteninseln in sehr großer Ferne bilden.
Mit den Arbeiten von Edwin Hubble und George Lamaître Ende der 1920er-Jahre wurde jedoch eindeutig belegt, dass sehr viele von diesen Nebelflecken weit außerhalb unserer Milchstraße liegen und damit eigenständige Galaxien bilden. Doch detaillierte Analysen ergaben – und Computersimulationen bestätigen dies –, dass auch diese riesigen Welteninseln Superstrukturen bilden: Galaxienhaufen und Supergalaxienhaufen, also Haufen von Galaxienhaufen. Aufgrund ihrer gegenseitigen Anziehung „verklumpen“ Galaxienhaufen und auch Superhaufen miteinander – ganz genau so, wie kleinere Strukturen dies in unserer Welt tun. Etwa wie Staub oder Algen im Wasser.
Unsere Milchstraße gehört der sogenannten Lokalen Gruppe an, einem Galaxienhaufen, dem insgesamt etwa 100 Galaxien angehören und zu dessen größten Vertretern (in absteigender Reihenfolge) die Andromedagalaxie M31, unsere Milchstraße und die Dreiecksgalaxie M33 zählen. Im Frühling lässt sich zwischen dem Sternbild Löwe und dem Sternbild Jungfrau der sogenannte Virgohaufen beobachten, dem mindestens 1.300, vermutlich aber mehr als 2.000 Galaxien angehören. Beide sind Teil des Virgo-Superhaufens, der aus etwa 100 bis 200 Galaxienhaufen besteht. Bis in das Jahr 2014 ging man von der Zugehörigkeit zum Virgo-Superhaufen als größter beteiligter Struktur aus, in dessen Zentrum der Virgo-Galaxienhaufen liegt. Heute weiß man aber, dass Virgo selbst jedoch nur ein Teil von Laniakea ist, einer noch größeren Superstruktur, die etwa 100.000 Galaxien umfasst und deren Durchmesser etwa 520 Millionen Lichtjahre beträgt. Zu Laniakea gehören beispielsweise auch die M81-Gruppe und der Sculptor-Gruppe.
Eine weitere Superstruktur ist der Coma-Superhaufen, in dem die sogenannte Große Mauer liegt (Abb. 1).

Quelle: https://de.wikipedia.org/wiki/Coma-Galaxienhaufen#/media/Datei:Coma_Cluster_(noirlab2420a).jpg
Der Coma-Superhaufen liegt visuell nicht weit vom Virgohaufen entfernt und kann im Frühling ebenfalls von der Nordhalbkugel aus beobachtet werden (Abb. 2).

Quelle: https://de.wikipedia.org/wiki/Coma-Galaxienhaufen#/media/Datei:Virgo-Comahaufen-Wolf.png
Ein weiterer bemerkenswerter Superhaufen, der den Astronomen immer noch Rätsel aufgibt, ist der Große Attraktor. Er ist eine der massereichsten bekannten Strukturen im beobachtbaren Universum, besitzt eine Masse in der Größenordnung von 10 Billiarden Sonnenmassen (\(10^{16} \ M_\odot\)) und ist etwa 150 bis 250 Millionen Lichtjahre von der Erde entfernt.
Etwa 1990 wurde eine bedeutende Gravitationsanomalie entdeckt, die auf den Virgo-Superhaufen, die Große Mauer mit dem Coma-Haufen und auch den Hydra-Centaurus-Superhaufen einwirkt. Man stellte Unregelmäßigkeiten während der Untersuchung der Ausdehnungsgeschwindigkeit des Universums fest und im Zuge dessen dann, dass sich die Galaxienhaufen in diesem Bereich weniger schnell voneinander entfernen, als dies bei einer homogenen Expansion des Universums der Fall wäre. Mit anderen Worten bedeutet das, dass der Große Attraktor äußerst massereich sein muss. Weitere Untersuchungen ergaben zwar Funde vieler neuer Galaxien im Bereich des Großen Attraktors, jedoch lieferten selbst diese nicht den fehlenden Beitrag zu der enormen Gravitation, die von diesem Superhaufen auszugehen scheint. Eine endgültige Erklärung für seine enorme Gravitation steht somit noch aus.
Einige Galaxienhaufen und Supergalaxienhaufen zeigen bemerkenswerte Phänomene, die mit modernen Teleskopen sichtbar gemacht werden können: Aufgrund ihrer enormen Masse krümmen sie in ihrer Umgebung die Raumzeit und verzerren die dahinterliegenden Galaxien zu kreisbogenförmigen Gebilden. Dieser Gravitationslinseneffekt ist sehr eindrucksvoll am Beispiel des Galaxienhaufens Abell 1689 (Abb. 3) zu sehen.

Quelle: https://de.wikipedia.org/wiki/Galaxienhaufen#/media/Datei:Abell1689_HST_2003-01-a-1280_wallpaper.jpg
Sowohl das Hubble Space Telescope als auch das James Webb Space Telescope lieferten bereits mehrere Aufnahmen solcher Verzerrungs- und Duplizierungseffekte von weit entfernten Galaxien.
Solche Gravitationslinseneffekte liefern oft wichtige Informationen über die Linsengalaxien – also die Galaxien, die den Gravitationslinseneffekt verursachen – als auch über die gelinsten Galaxien wie etwa ihre Massen und ihre Entfernungen.
Filamente und das kosmische Netz – ein Universum aus Spinnweben
Auch die Galaxienhaufen und Superhaufen organisieren sich im Laufe der Zeit zu riesigen Strukturen, die stark an Fäden in einem riesigen Spinnennetz erinnern. Die kosmischen Fäden in diesem riesigen Geflecht werden als Filamente bezeichnet. Diese massiven, fadenförmigen Formationen können üblicherweise eine Größe von 50 bis 80 Megaparsec (160 bis 260 Millionen Lichtjahre) erreichen, die größte bisher entdeckte Form ist die Große Mauer zwischen Herkules und Corona Borealis mit einer Länge von etwa 3 Gigaparsec (9,8 Milliarden Lichtjahre). Die Filamente bilden die Grenzen zwischen den Voids, den fast leeren riesigen Räumen in den Waben des kosmischen Geflechts.
Da die Anordnung der Galaxienhaufen auf großen Skalen an eine wabenartige Struktur des Universums erinnert, spricht man in diesem Zusammenhang vom sogenannten kosmischen Netz (Abb. 4).

Quelle: https://de.wikipedia.org/wiki/Filament_(Kosmos)#/media/Datei:Structure_of_the_Universe.jpg
Auch zeigen Simulationen unter Einbeziehung der dunklen Materie und dunklen Energie, dass die Materieverteilung im Universum im Laufe der Zeit die Form eines solchen spinnwebenartigen Geflechts annimmt, was durchaus im Einklang mit Beobachtungen steht.
Voids und Supervoids – riesige Leeren im kosmischen Geflecht
Genauso, wie es Zusammenballungen von Galaxien gibt, existieren auch Orte im Universum, die deutlich leerer sind als der durchschnittliche Raum. Solche leeren Kammern im kosmischen Netz werden Voids genannt (vom engl. void = Leere), größere von ihnen auch Supervoids. Dabei sind die Voids nicht wirklich leer, wie der Name suggeriert, sondern weisen lediglich eine signifikant kleinere Galaxiendichte auf als der kosmische Durchschnitt. Diese Leeren können auch einige Hundert Millionen Lichtjahre im Durchmesser erreichen und weniger als 1/5 der erwarteten Galaxien enthalten. Eines der größten Supervoids ist beispielsweise das Bootes Void: Es hat einen Radius von etwa 200 Millionen Lichtjahren und enthält lediglich rund 60 Galaxien, was den erwarteten Wert von etwa 2.000 Galaxien deutlich unterschreitet, der für eine Region dieser Größe typisch ist.
Regionen mit kleinerer Galaxiendichte sind durchaus üblich und werden von vielen kosmologischen Modellen – trotz einer allgemein sehr hohen Homogenität des Universums auf großen Skalen – auch erwartet (Abb. 5).

Quelle: https://en.wikipedia.org/wiki/Bo%C3%B6tes_Void#/media/File:Galaxy_superclusters_and_galaxy_voids.png
Solch große Voids wie etwa das Bootes Void wiederum sind dennoch ungewöhnlich und geben den Kosmologen bis heute Rätsel über ihre Entstehung auf. Sie widersprechen zwar nicht unbedingt den allgemein akzeptierten kosmologischen Modellen, zeigen jedoch, dass man ihre Natur noch nicht vollends verstanden hat.
Modelle und Simulationen zeigen aber außerdem, dass Voids – genau wie Galaxien und Galaxienhaufen auch – verschmelzen können und auf diese Weise noch größere Voids bilden. Dies wird als eine mögliche Erklärung für die Entstehung sehr großer Voids in Betracht gezogen.
Auch werden Voids mit sogenannten Cold Spots in Verbindung gebracht. Das sind ungewöhnlich kühle Regionen in der kosmischen Hintergrundstrahlung, einem Relikt des Urknalls. Eine genaue Analyse und Verständnis der kosmischen Hintergrundstrahlung würde also wahrscheinlich ein besseres Verständnis über die heutige Struktur und Ausmaße der Voids mit sich bringen.
Unser Universum besitzt, trotz all seiner komplexen und teilweise chaotischen Prozesse, die in ihm seit Milliarden von Jahren stattfinden, eine wohldefinierte Struktur, die an ein gigantisches Spinnennetz erinnert. Seine Ausmaße sind dabei derart gigantisch, dass selbst das Licht Millionen und sogar Milliarden von Jahren benötigt, seine Teilstrukturen zu durchqueren. Und doch scheint es einer seltsamen, aber wohlbestimmten Ordnung zu unterliegen, deren Geburt in der kosmischen Hintergrundstrahlung kodiert zu sein scheint – dem Fingerabdruck unserer kosmischen Geburt. Und obwohl wir bereits über enorme technische Möglichkeiten und Hilfsmittel verfügen, diese Ordnung und ihren Fingerabdruck zu erforschen, geben uns diese noch immer große Rätsel auf, die die Astronomen seit Jahrzehnten vergebens zu lösen versuchen. Und so stehen wir immer noch ganz am Anfang unseres großen Abenteuers, die globalen Strukturen unseres Weltalls zu verstehen …